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Internationale Entwicklung nicht verschlafen

Das Volks-Ja zu einer klimaneutralen Schweiz hat der Kernenergie-Debatte weiteren Aufschwung verliehen. Es ist klar: Die Schweiz braucht in Zukunft sehr viel mehr sauberen Strom als heute. Noch immer verschliessen militante Gegner der Atomenergie die Augen vor den neusten Entwicklungen.

Von Irene Aegerter

Nach der Abstimmung über das Klimagesetz kann sich die Schweizer Politik einer breiten Diskussion über Kernenergie nicht mehr entziehen. Die Fakten sind klar: Unser Land will bis 2050 klimaneutral sein. Gleichzeitig wollen wir unseren Wohlstand behalten – das bedingt zwingend Versorgungssicherheit. Stromimporte sind nicht unbegrenzt möglich, denn unsere Nachbarländer produzieren selber zu wenig Strom.

Vor der neuen Realität können auch die Medien die Augen nicht verschliessen. Der Tagesanzeiger, eigentlich klar dem Lager der Atomkraft-Gegner zu zuordnen, wählte deshalb zur Auseinandersetzung mit dem Thema die Form eines Pro und Contra.

Während Edgar Schuler die Problematik gut auf den Punkt bringt und klar begründet, warum die Schweiz neue Kernkraftwerke braucht, sind die Ausführungen von Martin Läubli fehlerhaft. Er schreibt in seinem Contra-Beitrag, dass kleinere Reaktoren der neusten Generation, sogenannte „small modular reactors", grundsätzlich eine Option wären. Diese seien aber erst in Entwicklung und dass eine Kommerzialisierung dieser Anlagen nicht vor 2030 beginnen würde. Er schliesst daraus, dass weder Planung, Kosten noch Strompreis abgeschätzt werden könnten.

Weit fortgeschrittene Entwicklung

Das stimmt einfach nicht mehr: Man spricht immer von Kernkraftwerken der Generation 4. Das Generation IV International Forum (GIF) ist ein Verbund von Ländern, der 2001 gegründet wurde (die Schweiz ist 2002 beigetreten), der sich der gemeinsamen Entwicklung zukünftiger Kernkraftwerke verschrieben hat. Diese Kraftwerke der vierten Generation sollten hohe Anforderungen an Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Es sind sechs unterschiedliche Reaktorkonzepte, die das GIF als zukunftsträchtig eingestuft hat:

In den mehr als 20 Jahren seit das GIF diese Liste erstellt hat, ist die Reaktorentwicklung jedoch sehr weit fortgeschritten. Bisher suchte man eine Optimierung der Wirtschaftlichkeit in der Grösse. Seit einiger Zeit wird eine andere Idee verfolgt: Wirtschaftlichkeit durch Massenproduktion. Dazu müssen die Reaktoren klein und modular aufgebaut sein. Definitionsgemäss sollte ihre Leistung 300 MW nicht übersteigen.

Ende März 2023 hat die Nuclear Energy Agency der OECD das «Small Modular Reactor Dashboard» herausgegeben. Darin werden 21 verschiedene SMR beschrieben mit dem Stand der Entwicklung. Die SMR erfüllen heute alle Sicherheitsanforderungen, die damals vom GIF gefordert worden sind (keine Schäden ausserhalb der Anlage, bezahlbare Kosten).

In China sind bereits zwei heliumgekühlte Hochtemperaturreaktoren (HTR-PM) mit einer Leistung von je 105 MW in der Provinz Shandong in Betrieb und ein Flüssigsalzreaktor mit Thorium ging nach einer langen Testphase eben in Betrieb.

In einem fortgeschrittenen Baustadium ist der argentinische 30 MW leistende CAREM.

Beim BWRX-300 von General Electric-Hitachi wird in Darlington (Kanada) der Baugrund vorbereitet. Er soll 2028 in Betrieb gehen. Das ist ein fortgeschrittener Siedewasserreaktor. Er leistet 300 MW. Das X im Name ist übrigens ein römisches «10», weil es sich um die zehnte Generation (Weiterentwicklung) des Siedewasserreaktors handelt. Ziel der Erbauer ist es, die Bauzeit auf vier Jahre zu drücken und die Kosten unter 1 Milliarde Dollar zu halten. Das bedeutet, dass eine Kilowattstunde Strom inklusive Brennstoff- und Betriebskosten 5 bis 6 Rp kostet. Dabei handelt es sich um wertvolle Bandenergie, die auch im Winter zur Verfügung steht. Mit Polen, Niederlande, Schweden, Estland und der amerikanischen Tennessee Valley Authority sind Verkaufsverhandlungen vor dem Abschluss. Mit anderen Worten: Kernenergie sei zu teuer und komme zu spät stimmt einfach nicht mehr!

Es gibt weitere vielversprechende Entwicklungen, wie beispielsweise VOYGR. Das ist der seltsame Name, den die Firma NuScale ihrem Reaktor gegeben hat. Ein Modul leistet 77 MW und er wird als Gruppe von 6 oder 12 Modulen angeboten. Ein Konsortium von Elektrizitätsgesellschaften im Nordwesten der USA plant den Bau des ersten Exemplars in Utah. Auch Rumänien hat Interesse bekundet.

Schweizer Wissenschaft für Kernenergie

Die Akademie der technischen Wissenenschaften (SATW), hat im Mai 2023 eine Broschüre zum Thema "Wie kann die Energieversorgung langfristig sichergestellt werden“ herausgegeben. Auf der letzten Seite steht: "Weiter sollen auch die Möglichkeiten weiterentwickelter, höchst sicherer Kerntechnologien aufgezeigt und deren Akzeptanz diskutiert werden. Dazu gehören insbesondere kleinere, modular aufgebaute Anlagen, sogenannte Small Modular Reactors (SMR).“

Neue sichere Kernkraftwerke mit passiven Sicherheitseinrichtungen, die eine Gefährdung ausserhalb des Reaktors ausschliessen, kann man heute bestellen und an einem bestehenden KKW-Standort, wie beispielsweise in Beznau, bauen. Die Axpo hatte 2008 ja ein Rahmenbewilligungsgesuch für ein Ersatzkernkraftwerk Beznau eingereicht.

SMR könnten in der Schweiz nach einer Volksabstimmung nach 2035 in Betrieb gehen und den wegen der Dekarbonisierung höheren Stromverbrauch der Schweiz auch im Winter klimaneutral sicherstellen. Das Stromnetz müsste nicht so ausgebaut werden, wie es der «Solar- und Windexpress» des Parlaments nötig machen. Das würde nicht nur Kosten sparen, sondern ebenfalls Landschaft und Natur nicht beeinträchtigen.

Dr. phil. nat. Irene Aegerter ist Physikerin, ehemalige Vize-Direktorin des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), ehemalige Präsidentin Fachausschuss Strahlenschutz und Entsorgung (KSA) und ehemalige Vizepräsidentin der SATW. Sie ist Mitglied des Expertenbeirates des Energie Club Schweiz,

SMR wären eine gute Lösung, um in der Schweiz effizienten Klimaschutz und Versorgungssicherheit zu garantieren - ohne Wohlstandverluste.